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SOL Abschlussfest 27. Juni 2019: Begrüssungsrede

Was leistet die SOL, in welchen Schwierigkeiten steckt die SOL angesichts
des aktuellen Bildungsumfelds



Wir beenden mit dieser Abschlussfeier das 20. Jahr!


Und: Uns gibt es immer noch!


Mit 14 Schülerinnen und Schülern und keinem Geld haben wir vor gut 20 Jahren, im Februar 1999, die Schule angefangen. Wir konnten nur für einen Teil der Arbeit Lohn zahlen, und zwar ungenügende Löhne. Zuerst ein Jahr in Pratteln, dann mehrere Jahre in der Villa an der Sichternstrasse hier in Liestal, seither in der Hanro. Es ging finanziell immer besser, die Zahl der Schülerinnen und Schüler stieg bis auf fast 100, wir können seither allen, die hier arbeiten, einen Primarlehrerlohn bezahlen und konnten auch ein kleines finanzielles Polster aufbauen, von dem wir heute zehren.


Das Schuljahr 2018/19, das wir jetzt abschliessen, war finanziell nicht erfolgreich, wir werden wieder ein beträchtliches Defizit haben. Nicht weil die Eltern zu wenig zahlen: Wir wissen, dass alle Eltern an ihre Grenzen gehen, dass sich alle bemühen, zum Teil auch mit Hilfe von Verwandten und Bekannten, möglichst nahe an das kostendeckende Schulgeld zu kommen. Und wir sind sehr dankbar dafür. Gleichzeitig bemühen wir uns täglich darum, kostengünstig Schule zu machen. Aber wir sind nicht bereit, an dem zu sparen, was für die Schule gebraucht wird: An der Anzahl Lehrpersonen, an den Räumen, am Material, am Essen und Trinken.


Wenn wir wiederum ein grosses Defizit aufweisen, dann hängt das daran, dass der Staat auf unsere Kosten spart. Wir haben zwar mit dem Kanton Baselland noch eine Leistungsvereinbarung, wir sind verpflichtet, 30 Plätze für den Staat bereitzustellen. Aber derselbe Staat bezahlt für gar kein Kind mehr das Schulgeld. Zwar wird Eltern immer wieder – meist unter vorgehaltener Hand – empfohlen, ihr Kind an die SOL zu schicken – aber sie sollen dann bitteschön selbst für das Schulgeld aufkommen.


Wenn die Eltern das nicht auf sich nehmen oder nicht auf sich nehmen können, werden sämtliche Gesuche abgeschmettert, zum Teil mit ganz widersprüchlichen Begründungen. Die Eltern, deren Schulbesuch vom Staat nicht finanziert wird, werden nicht darum herumkommen, wieder die Gerichte anzurufen. Viele Kinder, die an der SOL gut aufgehoben wären, können sie nicht besuchen, weil es die Eltern nicht einmal wagen, an ein Schulgeld zu denken.


Im Moment ist die Bildungspolitik brutal. Es melden sich immer wieder Eltern bei uns, deren Kinder zu Sonderschülerinnen oder Sonderschülern erklärt wurden, weil sie die Belastungen in der Regelschule nicht einfach wegstecken können: Den ständigen Notendruck, den permanenten Konkurrenzkampf, der durch die Benotung und durch die vielen Vergleichstests und "Checks" immer neu angefacht wird, das Mobbing, das in dieser Schulkultur logischerweise angeheizt wird. Zwar gibt es verschiedene und sehr teure Massnahmen an der Staatsschule, die helfen sollen, dass die Schülerinnen und Schüler sich besser zurechtfinden respektive dass die Schule mit ihnen zurechtkommt. Aber weil diese Massnahmen gerade bei besonders sensiblen oder verletzlichen Kindern und Jugendlichen zu wenig nützen, eher den Druck noch erhöhen, werden die betroffenen Schülerinnen und Schüler zu Sonderschülern erklärt. Es ist halt so: Manchmal kann auch die oft sehr engagierte, wohlmeinende, gute Arbeit der Lehrkräfte die grundlegenden Mängel des Konkurrenzsystems in der staatlichen Schule nicht kompensieren. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen reagieren mit psychischen und körperlichen Krankheitssymptomen, sie verweigern teilweise oder ganz den Schulbesuch, sie zweifeln ernsthaft an, ob es sich für sie überhaupt noch lohnt weiterzuleben.


Die forcierte Integration an den Staatsschulen wird zwar mit der Behinderten-Gleichstellung begründet, sie hat sich aber in das Gegenteil verkehrt: Jedes Kind soll am gleichen Massstab gemessen werden, sich unter das gleiche Joch beugen. Wer das nicht aushält oder nicht die vorausgesetzten Resultate erbringt, wird als "lernzielbefreit", "Sonderschüler", "verhaltensauffällig" stigmatisiert und ausgegrenzt.


Kommt ein solches Kind bei uns einmal an, zeigt sich sehr rasch, dass es keinen Grund für Sonderschulung gibt. Die Betroffenen brauchen "nur" ein anderes, inklusives Schulkonzept, und dann sind sie fähig, sich auf die Schule einzulassen und die erforderlichen Lernfortschritte zu machen und die nötigen Leistungen zu erbringen. Die Erfahrung zeigt, dass sie sich stabilisieren, dass ihre psychosomatischen Beschwerden sehr rasch verschwinden und dass sie nach Abschluss der 9. Klasse erfolgreich eine Lehre machen oder eine weiterführende Schule besuchen können.


Deshalb hier die zweite Bilanz, die wir über dieses vergangene Schuljahr ziehen: Pädagogisch war es ein weiteres erfolgreiches Jahr. Einige Kinder und Jugendliche haben während des Jahres neu bei uns Zuflucht gefunden. Andere feiern heute erfolgreich ihren Abschluss. Zwei treten mit Ende Schuljahr aus der SOL aus. Und alle anderen machen weiter in der SOL.


Unser Ziel: Die Kinder und Jugendlichen sollen in der SOL zur Ruhe finden, befreit werden vom ständigen Druck und dem damit verbundenen Gefühl, ohnehin nie genügen zu können. Sie sollen merken, dass sie nicht die Dummen, nicht die Bösen, nicht die Schlimmen sind, sondern dass alle gleichberechtigt mit ihren Besonderheiten und vor allem ihren Qualitäten Platz haben an unserer Schule. Hier soll kein Konkurrenzkampf stattfinden, kein Kampf aller gegen alle, kein Recht des Stärkeren. Sie sollen Selbstvertrauen gewinnen. Wobei echtes Selbstvertrauen auch heisst, über sich selbst nachdenken und Kritik zulassen zu können. Nur selbstkritische Leute haben ein gutes Selbstvertrauen, die anderen sind leere Bluffer.


Und wenn dann eine Schülerin, ein Schüler mit sich selbst wieder im Reinen ist, dann kann das Interesse an den schulischen Inhalten wieder zum Vorschein kommen, die Freude an der Auseinandersetzung mit sich selbst, mit den anderen, aber auch mit den schulischen Themen. Denn es ist ein Privileg, es ist etwas Tolles, sich mit der Welt auseinandersetzen zu dürfen, Zeit dafür zu erhalten, damit man immer mehr begreifen kann von dem, was um einen los ist, wie die Welt funktioniert, wie die Gesellschaft funktioniert, wie man selbst funktioniert. Das ist zwar oft anstrengend, aber es macht auch Freude, es lohnt sich nicht nur für die Zukunft, sondern unmittelbar: weil es spannend ist. Schulzeit ist Lebenszeit.


Letztlich sind wir ja ein gesellschaftspolitisches Projekt. Wir kämpfen für eine Schule, in der es keinen Konkurrenzkampf, sondern Solidarität gibt. Und letztlich für eine Gesellschaft, in der es sich zu leben lohnt. (Vielleicht ist es ganz verständlich, warum die Vertreterinnen und Vertreter der aktuellen Bildungspolitik manchmal etwas Mühe mit uns haben.) Ganz besonders freut es uns dann, wenn SOL-Schülerinnen und SOL-Schüler an den Klimademonstrationen oder am Frauenstreik teilnehmen.


Gerade in diesem Jahr haben wir manchmal auch daran gezweifelt, ob wir mit unseren Zielen Erfolg haben. Wir wissen alle: Ein Teil der diesjährigen Neuntklässler hatte es manchmal besonders schwer. Es gab Phasen, in denen sie nicht mehr bei sich waren. Es gab Zeiten, in denen sie alles oder vieles "uninteressant", weil anstrengend fanden. Auch solche, in denen sie einen aggressiven Umgangston pflegten, beeinflusst von elektronischen Medien. Wir haben versucht, nicht nachzugeben, immer wieder unsere Werte zu betonen, immer wieder zur Selbstreflexion anzuregen. Und wir sind überzeugt, dass sich das gelohnt hat, dass vieles davon weiter wirken wird oder durchaus schon angekommen ist, auch wenn die Betroffenen das selbst vielleicht nicht gerne zugeben. Aber es gab äusserst intensive, beeindruckend offene und sehr berührende Gespräche. Und es gab das Lob einer Mutter: Sie dankte uns für unsere Bereitschaft, uns als ganze Person in die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern einzugeben, auch wenn diese manchmal turbulent ist. Ich habe dabei ein neues Wort gelernt: Sie dankte uns für unsere "Reibungsbereitschaft".


Etwas ist jedenfalls klar: Es ist anspruchsvoll, in die SOL zu gehen. Man wird gefordert, und zwar auch ganz persönlich: Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, und wohl auch die Eltern.


Deshalb bleibt mir zum Schluss: Ein grosses Merci an alle, die in der SOL arbeiten, sich engagieren und sich immer wieder auf die Beziehungsarbeit einlassen. Ein grosses Merci euch Schülerinnen und Schülern, wegen euch machen wir diese Schule auch in politisch widrigen Zeiten. Und ein grosses Merci an euch Eltern und Grosseltern und Verwandte und Bekannte, die ihr viel leistet, damit eure Kinder die SOL besuchen können.


Bernhard Bonjour, für den Stiftungsrat SOL

Die SOL liegt am Rande von Liestal auf dem HANRO-Areal.
Sie erreichen uns mit der Waldenburgerbahn.
Steigen Sie in der StationAltmarkt aus.

Mit dem Auto fahren Sie Richtung Lausen und zweigen, noch bevor Sie Liestal
verlassen, zum HANRO-Areal.

Die Schule befindet sich im Hauptgebäude des HANRO-Areals in Liestal.
www.hanroareal.ch

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Unser Sekretariat ist Montag bis Donnerstag von 7.30 bis 12 Uhr besetzt. Dienstagnachmittag erreichen Sie uns bis 16 Uhr.

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